"Gedenke zu leben!" – über Goethe und das Glück

Philosophisches Café mit Manfred Osten

"Erweise Dich wie neugeboren." (Johann Wolfgang von Goethe)

Goethe - ein altes Eisen? Es glüht! Der Alte könnte als Navigator aus der Industriegesellschaft gebraucht werden, meint Manfred Osten, denn Goethe ist ein Meister darin, ganz gegenwärtig zu sein. Das Leben nicht aufzuschieben. In der Gegenwart Herkunft und Zukunft zu verschränken. Die Dinge flüssig sein zu lassen und nicht im Entweder-oder zu verdinglichen und zu zerreißen. Dabei ist Goethe kein Schönwettergott: "Wer nicht verzweifeln könne", schrieb er einem Freund, "müsse nicht leben". Aber auch für den schlimmsten Fall gilt: "Und fällt der Himmel ein, kommt doch eine Lerche davon."

Manfred Osten ist ein unvergleichbarer Mäeut für Goethes Wiedergeburt - so wie Sokrates sein Denken als Mäeutik, als Hebammenkunst verstand. Nach seinem Buch "Alles veloziferisch" über Goethes Entdeckung der Langsamkeit hat er nun "Gedenke zu leben! Wage es, glücklich zu sein!" (Wallstein) geschrieben. Worin besteht Goethes Aktualität? Die industrielle Revolution, schreibt Osten, verengte "das Bewusstsein in Richtung einer Wachstums- und Fortschrittssorgen gespeisten Zukunft". Bei Goethe finden wir Haltungen, auf die eine Postwachstumsgesellschaft setzen sollte. Das Wagnis, zu leben und glücklich zu sein, verlangt als Mindesteinsatz den Abschied von Perfektion: "Ganz resolut und wacker seht ihr aus, / Kommt nur nicht absolut nach Haus" (Faust II).

Gastgeber: Reinhard Kahl

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