Sind wir alle privilegiert? Oder ist es keiner?

Philosophisches Café mit Jörg Scheller
Privilegien, das waren einst verbriefte Sonderrechte, irgendwann ging der Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch über, und die gut betuchte bürgerliche Dame konnte halb wohlig, halb schuldbewusst seufzen: »Ja, wir sind schon privilegiert«. In allerjüngster Zeit hat sich das Wort weiterentwickelt, vor allem in progressiven Kreisen, und wird verwendet, um nicht mehr nur immer über die gruppenbezogenen Diskriminierungen zum Beispiel von »schwarzen« Menschen oder von Frauen zu reden, sondern gerade umgekehrt auch die jeweils mächtige Gruppe – »weiße« Menschen, Männer – kritisch zu betrachten. Wer nicht diskriminiert wird, ist privilegiert.

Was erst einmal eine interessante Blickverschiebung war, ist allerdings, so meint der Kulturtheoretiker Jörg Scheller, mittlerweile kontraproduktiv geworden. Der Begriff des Privilegs werde zu oft als persönlicher Angriff verwendet, er sei »entgrenzt« und schwammig geworden, schreibt er in seinem Essay »(Un)Check Your Privilege« (Hirzel). Dem Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, diene er mithin längst nicht mehr. In seiner erhellenden Analyse der Geschichte und Gegenwart der »Privilegien« denkt Scheller auch über die Schwierigkeiten nach, die entstehen, wenn man Sozialtheorien aus ihren Entstehungskontexten löst und global verallgemeinert. Und er plädiert für einen präzisen und kleinteiligen Blick auf Ungleichheiten und Ungerechtigkeit.

Moderation: Catherine Newmark

Bild:© Julius Hatt

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