Unseld Lecture 2012

Im Jahr 2012 war der niederländische Primatenforscher Frans de Waal von der Emory University in Atlanta, USA, Gast der Unseld Lectures. Professor Dr. Frans B. M. de Waal, geboren 1948 in den Niederlanden, ist Charles Howard Candler Professor für Primatologie an der Fakultät für Psychologie der Emory Universität in Atlanta, USA, und Direktor des Living Links Center im Yerkes National Primate Research Center. 

In jüngerer Zeit beschäftigt sich de Waal besonders mit der Evolution von Moral und Gerechtigkeit beim Menschen. Er geht davon aus, dass Kultur und Moral keine ausschließlich menschlichen Errungenschaften sind, sondern sich – zumindest in Vorformen – auch im Tierreich finden. Dabei stützt er sich auf artvergleichende Studien, die Einblicke in die Entwicklung von Kultur und Moral bei Tieren und Menschen geben.

De Waal ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences, der National Academy of Sciences und der Royal Dutch Academy of Sciences. Im Jahr 2009 wurde ihm der Ehrendoktortitel der Universität Utrecht verliehen. Er hat zahlreiche Wissenschaftspreise erhalten. De Waal ist der breiteren Öffentlichkeit durch zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher über das Verhalten von Menschenaffen bekannt geworden. Das Time Magazin wählte ihn 2007 zu einem der hundert einflussreichsten Menschen weltweit, und Discovery zählte ihn 2011 zu den 47 bedeutendsten Köpfen der Wissenschaften aller Zeiten.


Jahresthema:Die Evolution von Moral

Ist das natürliche Wesen des Menschen geprägt von Egoismus und moralisches Verhalten eine kulturell erlernte Eigenschaft? Oder ist der Mensch von Natur aus gut, Moral also im Laufe der Evolution entstanden? Welche Konsequenzen hätte das für die Beurteilung moralischen Verhaltens?

Auf der einen Seite steht die Annahme, dass der Mensch seine "gute Natur" im Laufe der Evolution erworben hat. Moralisches Verhalten ist demnach nichts spezifisch Menschliches. Diese These stützt sich wesentlich auf Verhaltensbeobachtungen bei nicht-menschlichen Primaten. Zwar ist das moralische Verhalten des Menschen besonders komplex, es unterscheidet sich aber nicht kategorial von entsprechenden Verhaltensformen bei Menschenaffen. Vielmehr geht es auf die Fähigkeit zurück, emotional auf die Situation und Lage anderer zu reagieren: Empathie, Sympathie, Kooperation und reziproker Altruismus sind deshalb evolutionär gesehen wichtige "Bausteine" der Moral.

Auf der anderen Seite stehen dem evolutionären Verständnis von Moral Positionen gegenüber, die für eine kategoriale Unterscheidung zwischen menschlicher Moral und tierischem Hilfeverhalten plädieren und Moral eine normative Kraft zusprechen. Im Zentrum dieser Argumentation stehen die Sprachfähigkeit des Menschen und die Fähigkeit zu einem moralisch abwägenden Vernunftgebrauch. Die Veranstaltungen der Unseld Lecture 2012 konfrontieren die verschiedenen Positionen miteinander und diskutieren, ob eine Grenze zwischen dem eher impulsgesteuerten Hilfeverhalten nicht-menschlicher Primaten und dem moralischen Verhalten des Menschen gezogen werden muss oder aber Moral evolutionär erklärbar ist.


12. Juni 2012, Universität Tübingen, Audimax

Lecture: The Evolution of Morality


14. Juni 2012, Universität Tübingen, Audimax

Interdisziplinäres Kolloquium

Prof. Dr. Gerhard Ernst (Philosophie, Universität Erlangen) im Gespräch mit Frans de Waal

Prof. Dr. Gerhard Ernst ist Professor für Philosophie an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Metaethik und Handlungstheorie, der Erkenntnistheorie und der Wissenschaftstheorie. In mehreren Publikationen hat sich Ernst mit der Frage nach der Objektivität von Moral und dem Verhältnis von Naturalismus und Ethik beschäftigt. Er vertritt die These, dass die Moral denselben Platz in einer natürlich verstandenen Welt einnimmt wie die Naturwissenschaften. Das liege daran, dass beide, Moral und Wissenschaften, letztlich normativ und damit auf unsere Vernunft bezogen sind.


12 .- 16. Juni 2012

Interdisziplinärer Meisterkurs: "The Evolution of Morality"

mit Frans de Waal und Gerhard Ernst