Das Erlebnis der indischen Philosophie

Nachruf auf Udo Keller

aus: Meine Welt, Zeitschrift des Deutsch-Indischen-Dialogs, Jg. 29, Heft 3, Winter 2012/2013

Udo Keller war eine singuläre Gestalt im deutschen Wirtschafts- und Kulturleben. In Pommern 1941 geboren, arbeitete er sich von den ärmlichen Verhältnissen eines Flüchtlingskindes zum wirtschaftlichen Erfolg hinauf. Zunächst als freier Versicherungskaufmann tätig, gründete er 1986 die Finanzdienstleistungsfirma tecis Holding AG. Redebegabt und charismatisch machte er sie zu einem europäischen Spitzenunternehmen. Als Sechzigjähriger zog er sich an einen schleswig-holsteinischen See zurück und gründete die Udo Keller Stiftung Forum-Humanum, die sich dem interkulturellen und interreligiösen Dialog widmet. Schon als junger Mann inspirierte ihn die Lektüre der indischen Lehrer Ramakrishna und Vivekananda sowie die Predigten von Meister Eckhart. Jetzt konnte Keller endlich seiner Berufung folgen. In wenigen Jahren schuf er mit der Alleinförderung des Verlags der Weltreligionen, der Gründung der Akademie der Weltreligionen in Hamburg und der Beteiligung am dem Forum Scientiarum in Tübingen Zeichen, die weiterwirken werden. Udo Keller ist am 21. November 2012 nach schwerer Krankheit gestorben.

Die Entdeckung der indischen Philosophie muß wie ein Sturm in ihn eingedrungen sein. Engen Vertrauten erzählte Udo Keller manchmal, wie er sich jeden Abend, von der Arbeit zurückgekehrt, sogleich aufs Bett legte, um bis zum Einschlafen die deutschen Übersetzungen von Swami Vivekananda und Shri Ramakrishna zu lesen, die damals schon in unkommentierten Ausgaben auf dem Markt waren. Er vergaß dabei die Außenwelt, auch die Familie, um sich ganz in diese andere, zunächst sehr fremde Welt hineinzuversetzen. Der starke Sog, den die indische Gedankenwelt in ihm auslöste, stammt von ihrem radikalen Einheitsdenken, das Gott, Mensch und Welt als das Eine Göttlich-Absolute definiert. So wird die komplexe und komplizierte, für den abendländischen Menschen stets dualistisch aufgebrochene Welt in eine suggestive Einheitsformel zusammengefaßt. Sie erlaubt und verlangt, "Spiritualität" – ohne die Vermittlung von Riten, von Institutionen, von Geschichte und moralischen Gesetzen – unmittelbar zu erfahren. Diese Erkenntnis der Einheitsphilosophie, daß alles göttlich ist und nichts außerhalb des Göttlichen steht, hat Udo Keller vermutlich als eine innere Befreiung empfunden.

Die Erkenntnis wird Udo Keller beglückt und beseelt haben, sie hat ihn aber gewiss auch zum Einzelgänger gemacht. Denn eine solche Erkenntnis lässt sich nicht erzählend weitervermitteln. So sehr sie uns mit "dem Ganzen" vereint, ebenso macht sie uns auch einsam. Man muss sich den starken Kontrast zwischen dieser Welt und der platten Geldwelt vorstellen, in der Udo Keller seinen Arbeitsalltag verbrachte. Wie sehr müssen sich diese beiden Welten in ihm gerieben haben! Daß diese Reibung ihn nicht zum Eigenbrötler oder Schwarmgeist werden ließ, sondern ihn zu einem praktischen Werk inspirierte – eben der Gründung seiner Stiftung – zeigt, wie stark er die philosophische Einheitsvorstellung dennoch mit dem normalen Leben zu integrieren wusste. 

Martin Kämpchen