Neues Judentum - altes Erinnern?

Kollegreihe des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks
im Stiftungshaus der Udo Keller Stiftung Forum Humanum

70 Jahre nach dem Holocaust:
Neue Realitäten, Kulturen und Konflikte des Erinnerns


Wie soll man sich im frühen 21. Jahrhundert an die Shoah erinnern? Was bedeutet der Holocaust im Bewusstsein heutiger SchülerInnen und StudentInnen? Wie kann die Shoah an Menschen vermittelt werden, die von ihrer familiären Herkunft her weder deutsch noch jüdisch sind? Wie gestaltet sich die Sprache des Gedächtnisses, wenn die Zeitzeugen bald nicht mehr da sind und die primäre Erinnerung an den Holocaust nicht mehr vermittelt werden kann? Welche Rolle spielt die offizielle Gedenkkultur und die staatliche Vergangenheitspolitik, und wie gehen diese mit konkurrierenden Erinnerungen und Erinnerungsgruppen um? Welche Dis/Kontinuitäten lassen sich im Erinnerungsdiskurs der Bundesrepublik feststellen? Kann man heute von einem europäischen Gedächtnisraum sprechen, in dem sich diverse nationale Erinnerungskulturen zunehmend auflösen? Finden sich in der Kunst alternative Formen des Erinnerns und der Repräsentation, die in der Lage sind, die Zeitspanne von 70 Jahren, zu verdichten und die Shoah im Gedächtnis zu bewahren?

Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) hat es sich zum Ziel gesetzt, in den Jahren 2014 und 2015 fünf Kollegs dem Thema "70 Jahre nach dem Holocaust: Neue Realitäten, Kulturen und Konflikte des Erinnerns" zu widmen.

Bei diesem Vorhaben geht es uns darum, zweierlei Perspektiven zu verbinden: Einerseits zeigt ein reflektierender Rückblick auf die Nachkriegszeit und die letzten 70 Jahre, dass stets schon verschiedene Formen, Medien und Funktionen des Erinnerns an den Zivilisationsbruch in einer durchaus konflikthaften Gleichzeitigkeit existiert haben. Andererseits geht es uns darum, die Aufmerksamkeit gezielt auf die Gegenwart zu lenken und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die heutige Generation von jungen WissenschaftlerInnen und KünsterInnen vor neuen Aufgaben und Herausforderungen steht. Im breiteren gesellschaftlichen Zusammenhang ist das Erinnern als ein wesentliches politisches und didaktisches Instrument zur Bekämpfung des Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit anzusehen. Es ist nun eine Generation da, die nicht mehr über ein unmittelbares biographisches Gedächtnis der Shoah, aber doch über intellektuelle und emotionale Betroffenheit verfügt, die sie für weitere Aktivitäten sensibilisieren soll. 

Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, das sich selbst als eine "Geschichte mit Zukunft" definiert, ist besonders prädestiniert, Stereotypen im offiziellen Gedenkdiskurs und eingefahrene Gedenkrituale kritisch zu hinterfragen, um neue Fragen aufzuwerfen. Gleichzeitig liegt dem Studienwerk daran, im Sinne seines Namensgebers, deutsch-jüdischen Religionswissenschaftlers Ernst Ludwig Ehrlich, Brücken zwischen oft gegenläufigen Erinnerungsparadigmen zu schlagen.

ELES fördert zahlreiche Promovierende, die sich mit unterschiedlichen Facetten des Holocaust und seinen Nachwirkungen auseinandersetzen und ist darüber hinaus assoziiert mit zahlreichen renommierten internationalen WissenschaftlerInnen, die als maßgebliche Stimmen auf diesem Gebiet den akademischen und den öffentlichen Diskurs geprägt haben.

Was ELES mit diesem Projekt leisten möchte, ist eine intergenerationelle und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit historiographischen, literaturwissenschaftlichen, soziologischen und künstlerischen Formen des Erinnerns. Des Weiteren bildet eine politische und intellektuelle Sensibilisierung der breiteren Öffentlichkeit für neue Formen des Erinnerns eine wesentliche Intention des Studienwerks.